... zum Beispiel Frau Lopez aus Zürich

Elvira Lopez (die in Wirklichkeit anders heisst), 56jährig, war über mehrere Monate in der DFA Zürich in Beratung. Im Vordergrund stand die Arbeitssuche vor dem Hintergrund körperlicher Leistungseinschränkungen. Hier erzählen wir ihre Geschichte in der Kurzform.

 

Elvira Lopez verbrachte den ersten Teil ihrer Kindheit in Argentinien während der Zeit der Militärjunta. Im Alter von 9 Jahren übersiedelte sie mit ihren Eltern und einer jüngeren Schwester in die Schweiz, wo ihr Vater als politischer Flüchtling anerkannt wurde. Nach einem Deutschkurs wurde sie in die 4. Klasse eingeschult – vom Schulstoff war sie überfordert, woran sich bis zum Ende der obligatorischen Schulzeit nichts geändert hat.

 

Zum Ende der Oberstufe drängte ihr Vater darauf, dass sie eine Ausbildung machen soll. Elvira Lopez hat sich dagegen gesperrt – sie war damals überzeugt, dass sich im Rahmen einer Lehre ihre negativen Erfahrungen (Überforderung mit dem Schulstoff, wiederkehrende Ausgrenzung aufgrund ihrer fremden Herkunft) fortsetzen würden. Die Mutter stützte sie in ihrer Absicht, anstatt einer Lehrstelle direkt eine Arbeit zu suchen – schliesslich sei sie ein Mädchen, werde später sowieso heiraten, Kinder kriegen und von ihrem Ehemann unterhalten werden.

 

So begann die 19jährige Elvira Lopez als Buffetmitarbeiterin in einem Landgasthof, wechselte später in die Montage von Elektronikartikeln, als Verkäuferin in ein Modegeschäft und schliesslich als Mitarbeiterin in eine Videothek. Mit Mitte 20 lernte sie den späteren Vater ihrer Söhne kennen und wurde schwanger. Mangels Unterstützung durch den Kindsvater musste sich Frau Lopez an die Sozialhilfe wenden, die fortan für ihren Lebensunterhalt aufkam. Wenige Jahre später brachte Frau Lopez Zwillinge zur Welt und zog fortan ihre drei Söhne allein auf.

 

Wiedereinstieg nach der Familienphase

Im Alter von 50 Jahren versuchte Elvira Lopez, wieder im Arbeitsmarkt Fuss zu fassen. Nach einigen Monaten als Promotorin für Beauty-Produkte im Stundenlohn fand Frau Lopez dann eine Stelle in einem Schnellimbiss in Zürich. Sie kümmerte sich um Gästebetreuung und Empfang, bediente an der Kasse, räumte Tische ab und leistete Reinigungs- und Auffüllarbeiten. Aufgrund ihrer Leistungen konnte sie bald die Leitung des Filialteams übernehmen. Es sah in dieser Zeit ganz so aus, dass es – trotz ihren ungünstigen Vorbedingungen – gut kommen könnte: Die Arbeit machte ihr Spass, sie wurde geschätzt und war in der Lage, ihr Leben selbst zu verdienen.

 

Doch es kam anders: Sie bekam massive Probleme mit der Schulter und mit ihrem Rücken. Sie wurde an der Schulter operiert und in der Folge krankgeschrieben. Die Operation brachte nicht den gewünschten Erfolg, die Schmerzen in Schulter und Rücken waren nach wie vor sehr gross, an eine Wiederaufnahme der Arbeit war in diesem körperlichen Zustand nicht zu denken. Die Ärzte empfahlen eine präventive Anmeldung bei der Invalidenversicherung (IV) – diese lehnte im Juli 2023 mittels „Vorbescheid“ ab, eine Rente in Betracht zu ziehen:

 

Sie wurde zu einem Gutachter der IV bestellt. Das Resultat fiel so aus, wie wir es in der DFA sehr häufig antreffen: „Diese Person ist 100% arbeitsfähig – in angepasster Tätigkeit“. Und dann kommt eine meist sehr lange Liste mit Einschränkungen (z.B. „Heben rechts max. 5kg, Arbeiten über Kopf nie, nicht länger als 30 Minuten Sitzen, nicht länger als 30 Minuten Stehen etc.). Frau Lopez soll demnach eine Arbeitsstelle suchen, die sämtliche ihr zugestandenen Einschränkungen erfüllt.

 

Da die Krankentaggeldversicherung ihres Arbeitgebers ausläuft und eine Rückkehr dorthin aus gesundheitlichen Gründen nicht in Frage kommt, meldet sie sich nun beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) an. Eine Sozialberaterin der Caritas Zürich macht sie auf die DFA aufmerksam – sie meldet sich dort zwecks Unterstützung für die Stellensuche.

 

Der Beratungs- und Unterstützungsprozess in der DFA

DFA-Sozialberaterin S.M. analysiert mit Frau Lopez ihre schwierige Situation, begutachtet die bestehenden Bewerbungsunterlagen, gemeinsam definieren sie den Anpassungsbedarf. S.M. passt die Unterlagen entsprechend an. Elvira Lopez ist ziemlich deprimiert (und desorientiert), weil sie nicht wirklich weiss, wie es nun weitergehen soll.

 

Um ihre Verpflichtungen gegenüber dem RAV zu erfüllen, muss sich Elvira Lopez nun regelmässig um Stellen bewerben, die zu ihren körperlichen Einschränkungen passen (bei ihr im Vordergrund: Heben max. 5kg, keine Arbeit „über Kopf“, keine wiederkehrenden rotativen Bewegungen mit dem rechten Arm).

 

Da es keine Stellen gibt, die ihren gesundheitlichen Einschränkungen Rechnung tragen, bewirbt sich Frau Lopez auch für Jobs, die sich mit ihrer gesundheitlichen Verfassung eigentlich nicht vertragen – schliesslich muss sie gegenüber dem RAV monatlich 12 Bewerbungen dokumentieren. Da sie den Einstieg ins Computer-Zeitalter verpasst hat, die aktuellen Anforderungen an Bewerbungsunterlagen nicht kennt und selbst keinen PC hat, ist sie für das Schreiben von Bewerbungen auf Unterstützung angewiesen (das übernimmt künftig die Bewerbungshilfe der DFA).

 

Sozialberaterin S.M. coacht Frau Lopez hinsichtlich der Kommunikation mit ihrer RAV-Beraterin, und bespricht mit ihr, für welche Arbeitsfelder Bewerbungen sinnvoll sein könnten. Man einigt sich auf den Fokus auf „Service, Take-away, Personalrestaurants und Produktion“.

 

Mitten in diese intensive Phase platzt die Nachricht vom Tod eines Familienmitglieds in Südamerika. Elvira Lopez belastet das sehr. Sie ist zwischenzeitlich 100% krankgeschrieben. Sie hofft auf ein erfolgreiches Wiedererwägungsgesucht an die IV – es stehen aber noch Arztberichte der Schulthess-Klinik aus. Da die Arbeitslosenkasse aufgrund zu knapper Beitragszeit nur sehr kurzfristig Entschädigung leisten wird, rät Beraterin S.M. nun doch dazu, sich bei der Sozialhilfe anzumelden.

 

Mittlerweile hat Elvira Lopez den Anspruch auf Arbeistslosenentschädigung für 90 Tage bestätigt bekommen. Die Sozialhilfe wird unterbrochen und kann danach wenn nötig relativ unkompliziert wieder aufgenommen werden. Die Ärzte geben ihr weiterhin keine klare Orientierung, was sie noch arbeiten kann. Sie lässt bei der DFA, im Schreibdienst der Stadt Zürich und im Kafi Klick weiterhin fleissig für sich Bewerbungen schreiben.

 

Stelle gefunden! Vorläufiges Happy End?

Nach monatelangen Bemühungen (und zehn Beratungsterminen bei der DFA)  dann endlich die „Erfolgsmeldung“: Elvira Lopez hat eine Anstellung im Verkauf gefunden, 80% im Stundenlohn, Schichtarbeit und auch Arbeiten am Wochenende. Die Arbeit entspricht zwar nicht den Einschränkungen gemäss ihrer „angepassten Tätigkeit“ und wird bescheiden entlöhnt, sie ist aber guten Mutes, dass es trotzdem funktionieren könnte. Und sie ist sehr erleichtert, dass ihr die Wiederanmeldung bei der Sozialhilfe erspart bleibt!

 

Auf die Frage, was gewesen wäre, wenn sie den Weg zur DFA nicht gefunden hätte, meint sie: „Ich wäre total verloren gewesen. So als ob ich allein durch den Ozean nach Uruguay hätte schwimmen müssen!“

 

Im Rückblick bereut Elvira Lopez, dass sie damals nach der Schule keine Ausbildung gemacht hat. Die Arbeitswelt hat sich seit den 1990er-Jahren in einem Mass verändert, das sie sich nicht hätte vorstellen können. Und ihre Optionen auf dem Arbeitsmarkt wären deutlich besser, wenn sie zumindest einen Fachausweis in der Tasche hätte …

 

Aufgezeichnet: Martin Mennen